im Loop Teil II – meine Tochter

„Hast Du was von M gehört?“ – „Nee, aber der hat gerade ein Kind bekommen, der wird zu tun haben. Hat er nicht diese Woche noch Urlaub?“ – „Ja naja, ich sammle für ihn in der Firma, und hab ne Karte gemacht, da würde ich vorher nur gerne wissen, ob alles….naja…“ – „Ob alles gut gegangen ist? Stimmt, wenn’s nicht gut geht, dann bekommt man nämlich nix. Auch keine Karte.“
Ups. Da hab ich meiner Kollegin eventuell etwas vor den Kopf gestoßen. Aber ja. So ist es eben einfach. Warum soll ich so tun, als ob es mich nicht kränkt.
Wenn alles gut geht, dann wird gefeiert. Und wenn alles nicht gut geht, betretenes Schweigen. Keine Karte, keine Blumen. Nüscht.


Es lief alles gut, zum Glück, er hat seine Karte und Geld bekommen.


Samstag, 03.10.20

Es ist der 03.10.. Schon wieder. Einfach so ist ein Jahr vergangen. Als sei nix passiert. Aber es ist so viel passiert.

Ich fühle mich vom Vortag, von der Trauer um meine Schwester, noch ziemlich kaputt. Mein Herz ist schwer und irgendwie hab ich das Gefühl, dass es immer schwerer wird. Ich kann mich zu kaum etwas aufraffen. Ich will eigentlich so viel machen, es ist ja Feiertag und ich hab Zeit. Kann nicht einkaufen oder sonst irgendwas erledigen. Aber es geht nicht. Ich mache die erste Hunderunde mit S zusammen, H und ich bringen ihn zum Bus. Er will einem Freund bei etwas im Haus helfen. Schon sehr früh. Um 8 Uhr fährt der Bus los. Das ist für ihn ja mitten in der Nacht. Der Morgen ist sehr schön, schön kühl aber blauer Himmel, der Tag soll wunderbar werden. Das ist praktisch, weil S Tante zum Grillen eingeladen hat. Sie besorgt mir vegane Würstchen, sie besteht drauf, dass ich sie nicht selbst mitbringe. Das find ich lieb. Normal bringe ich immer alles selbst mit.

Ich bin noch mit Su zur Hunderunde verabredet, darauf freue ich mich tatsächlich. Auch, wenn ich immer noch wirklich angeschlagen bin.

S ist also unterwegs, ich mach mich auch los, um mich mit Su und ihrem H zu treffen. Die Hunderunde ist entspannend und macht Spaß, es wird immer wärmer, einfach super.

Von der Zeit her passt es perfekt, so dass ich S und einen Kumpel von ihm wieder abholen kann (sie sind quasi ums Eck). Zuhause angekomme, chillen wir etwas rum. TV, bissi dösen, n Kaffee. Alles easy. Aber ich bin nicht gut drauf. Hab überhaupt keine Lust, zur Grill-Geburtstagsparty seiner Tante zu gehen.
Aber ja, muss. Sie wohnt nebenan, zum Glück müssen wir nicht durch die Stadt.

Gegen 18 Uhr solls los gehen, wir gehen mit H schon etwas früher los, damit die Hunde sich Hallo sagen können, ohne alle anderen umzurennen. Der Plan geht gut auf, wir sind die ersten.

Da hör ich schon, dass es für mich Käsespieße gibt. Hmm. Ok. Ich dachte, es gibt Würstchen? Ich frage zur Sicherheit nach. „Achso, nee, Würstchen gibt’s nciht, hab ich vergessen, bzw. ich hab vergessen, dass heute Feiertag ist.“

Ooooookeeeeeeeey. Ach, dann geh ich nochmal schnell nachhause und mach mir welche, ich hatte ja zur Sicherheit welche gekauft. Hüstel. Kontrollsuchti halt.

Blöd nur, dass es auch keinen Salat oder so gibt. Nur Bratwürste im Brötchen. Also esse ich meine veggi Würstchen und n Tomaten-Käse-Spieße. Ich bin nicht befriedigt.

Sowieso blöd drauf und vom Essen her mehr als enttäuscht, schreitet der Abend voran. Es wird immer dunkler, wir sitzen draußen am Lagerfeuer. Das ist an sich ganz schön, wenn die Sonne weg ist, dann wirds doch echt kühl.
Die Anordung der Plätze ist so, dass ich mich nicht so richtig an Gesprächen beteiligen kann. Wir sitzen zwar alle im Kreis, aber links neben mir die Bank ist eine ganze Weile leer. Bis sich dort ein zweier Team hinsetzt und sich „in Ruhe“ unterhält. Also nix, wo ich so einfach einsteigen könnte. Rechts neben mir sitzt S, daneben seine Eltern, daneben seine Oma und die anderen kenne ich nicht. Ich verstehe also nix, sehen kann ich auch niemanden, es ist zu dunkel und meine Augen sind eh..naja…maulwurfig.

Aber was nutzt ein Lagerfeuer, wenn man nicht hineinschaut? Ok, es wärmt. Ja ok. Aber es ist auch schön, einfach nur hineinzuschauen. Das mache ich also. Eigentlich sollte jetzt ein Baby auf meinem Schoß, in einem Tragetuch sein.

Meine Gedanken führen mich vom gestrigen Tag zum nächsten, heutigen Jubiläum. Heute vor einem Jahr ist mein Kind in meinem Bauch gestorben. Ich habe es gemerkt. Ich habe gemerkt, wie etwas in mir zerbricht. Wie ich erschüttere. Heute vor einem Jahr saßen wir auf der Couch, wussten, dass es nicht gut steht, um unser Wunder, hatten Angst vor der nächsten Feindiagnostik. Und auf einmal wird mir komisch. Ich muss mich hinlegen, kann nicht liegen, mir ist schwindelig, mein Blutdruck und -zucker spielt verrückt. Irgendwas stimmt nicht.

Die Bilder, das Gefühl. Alles geht mir wieder und wieder durch denk Kopf. Ich verliere mich in den Gedanken darum, als ich ins Feuer kucke, um mich rum Stimmengewirr, mein Hals geht zu, ich merke, wie eine Welle kommt. Ich atme tief ein und aus und kann mich kurz beruhigen.

Dann auf einmal KNALL. Ich erschrecke, H erschrickt.

Boah, diese Deppen. Feuerwerk und Knaller zum Tag der Einheit. Wann wird diese Scheiße endlich verboten? Leute dürfen nicht unangeschnallt Autofahren, weil ihnen was passieren könnte, aber man gibt ihnen Sprengstoff in die Hand? Wo ist sie, die Logik?

Es knallt wieder und wieder. Wie ich es hasse.

Ich erkläre S, dass ich mit H nachhause gehe, sie hat ja total Angst. „Geht’s Dir gut?“ fragt er mich. „Nee, ich bin echt nicht gut drauf.“ Er kuckt enttäuscht. Er würde noch bleiben, sagt er. Hä? Na klar! So lange du willst! Ich muss nur los jetzt.

Wo ist nur das Geburtstagskind? Gesucht, gefunden, geklärt. Jetzt nochmal zurück, meine Tasche und H holen, dann los. Als ich losgehe, steht mir ein Mann im Weg. Wir versuchen uns erst noch, gegenseitig auszuweichen, wie es manchmal ist, beide immer auf der gleichen Seite. Erstmal lustig, haha, dann versperrt er mir mit Absicht den Weg, weil’s ach so lustig ist. Ich merke, wie sich mein Hals immer weiter zuschnürt. Kacke, jetzt kommt ne Panikattacke. Ne richtige. Kacke, ich muss hier weg. Ich schiebe den Typen forsch zur Seite und zeige ihm, dass ich es nicht lustig finde. Mal sehen, ob ich da noch was zu hören bekokmme. Ich hab viel Kraft, wenn ich Angst hab.

Ich renne schon fast zum Ausgang, die Geburtstägige kommt mir hinterher: „Leg Dich auf die Couch, entspann Dich. Bist du müde?“ – „Nee, mir geht’s nich….“ und dann isses vorbei. Da ist sie, die Welle. Und ich hab kein Surfboard dabei. Sie überkommt mich, zieht mich richtig rein. Ich presse mir die Hände vor den Mund, muss hyperventilieren. Nichts mehr mit tief ein- und ausatmen. „Oh mein Gott, was ist denn los????“ Sie nimmt mich in den Arm, das fand ich ganz lieb. Ich kann nicht wirklch reden, außer „Bitte nix sagen, nix sagen, nix sagen! BITTE!“ – „Ick sach nüscht! Soll S mit nachhause?“ „Nee nee nee, bitte nix sagen, ihm auch nicht! Bitte!!!!“ Sie sagt „Es ist erst ein Jahr her, das ist keine Zeit. Du musst es rauslassen. Alles gut, nicht schlimm.“ Das war so lieb.

Ich geh nachhause, breche völlig zusammen und heule und heule und heule.

Ob sie was gesagt hat, weiß ich nicht. Aber S kommt ca eine Stunde nach mir nachhause und ich erzähle es ihm natürlich direkt. Er nimmt mich in den Arm und sagt nichts. Ich liebe das an ihm. Er sagt einfach nichts, lässt mich machen.


Sonntag, 04.10. und Montag, 05.10.20

Als ich wach werde, schäme ich mich. Ich schäme mich, dass ich mich nicht zusammenreißen konnte. Aber ja, es ist so. Ich kann es nciht mehr ändern.

Ich weine noch sehr viel an dem Morgen. J, die Tante von S und gestrige Hauptperson, schreibt mir, ob es mir besser geht. Das ist wirklich so lieb von ihr.

Leider kann ich ihr nicht sagen, dass es besser ist. Es baut sich alles nur noch mehr auf.
Eigentlich hatte ich gedacht, die Schlinge um meinen Hals wäre schon am engsten Punkt angekommen, noch ein wenig enger und ich ersticke. Aber es geht immer noch ein bißchen mehr. Ich atme unglaublich flach, mir tut die Brust weh, wenn ich tief atme. Es bleibt ein Schleier über dem Tag. Ich kann nicht fröhlich sein. Es geht nicht. Mir fällt es schwer, auf Nachrichten zu antworten, ich hab mein Handy kaum in der Hand.
Der Tag geht weiter, oh, Schmierblutungen. Cool. Also wieder nicht schwanger. Naja, ich warte mal bis Dienstag mit Testen. Vielleicht nimmt der Tag dann eine schöne Wendung.

Bis dahin muss ich aber erstmal über den Sonntag und den Montag kommen.

Schwierig.

Ich kann nicht schlafen, wälze mich von einer Seite zur nächsten. Zum Glück hab ich Urlaub genommen, rund um den 06.10.. Ich hätte so gar nicht ins Büro gekonnt.

Der Montag startet, heute ist mein zweiter Termin fürs Microblading. Fancy. Dass ich das echt mache. Aber es ist mega praktisch, keine Augenbrauen malen zu müssen. Haha.

Das soll der zweite und letzte Termin sein, der Feinschliff. Nach ein paar Minuten fragt mich die Kosmetikerin, ob ich meine Tage hätte, weil es diesmal so dolle bluten würde. Ach krass. Ja, die bekomme ich wahrscheinlich gerade. „Ja, da ist der Körper oft empfindlicher.“ Wieder was gelernt. Wir können den Termin nicht so abschließen, wie geplant, also muss ich nochmal kommen, am besten dann, wenn ich nicht gerade menstruiere. Ok.

Ich fahre nachhause. Fühle mich wie erschlagen. Meine Augen tun weh, logischerweise, mir wurde gerade mit einer Art Rasierklinge wieder und wieder in die Stellen geritzt, wo meine Augenbrauen sind und sein sollen. Was für ein Mist, echt.

Der Rest des Tages ist entsprechend unspektakulär. Hunderunde, ein wenig einkaufen, Couch. S hat sich Urlaub genommen, was mich total freut. Extra wegen des „Geburtstages“. Warum eigentlich die „“ ? Es ist ja ein Geburtstag. Es ist ein Tag, an dem ich unsere Tochter geboren habe.

Als ich ins Bett gehe, bin ich nur etwas down, der Kloß im Hals ist weiterhin recht ausgeprägt. S ist nebenan und macht noch etwas Musik. Ich liebe das. Wenn ich die Bässe höre, zum Einschlafen. Er setzt allerdings irgendwann Kopfhörer auf, wenn er auf dem Keyboard rumklimpert und die passenden Töne sucht. Dafür bin ich dankbar, das wäre sicher mega nervig. Es ist also auf einmal alles ganz ruhig. Und dann geht’s los.

Die Bilder schieben sich wie im Zeitraffer, im Superturbo immer und immer wieder vor meine Augen.

Meine Schwester weint vor Freude, wir geben uns einen Kuss und hüpfen, ich bin im Krankenhaus fühle, dass etwas aus mir raushängt, bekomme Panik, wieder bei der Feindiagnostik, höre die Ärzte, wie sie mir erkären, dass es nciht gut aussieht, wieder zuhause, wir sitzen weinend auf der Couch, mein Kind stirbt in mir, im Krankenhaus, alles duster und unangenehm, ich fühle die Hand von S auf meinen Schultern, ich fühle, wie er meine Hand hält, wieder im Kreißsaal, mir wird schlecht, ich muss brechen, es kommt niemand, ich hör die Hebamme sagen, mein Kind sähe aus wie ein Alien, ich höre Stimmen, die mir sagen, ich solle mich richtig verabschieden, wieder die Hebamme die sagt, sie habe schon Schlimmeres gesehen, wieder den Arzt der Feindiagnostik, der mir sagt, dass mein Kind schon aufgegeben hat, wieder der Moment, als er mir sagt, dass es ein Mädchen ist, die Ärztin, die mich wegen der Bestattung nervt, die Entscheidung, dass wir es nicht sehen wollen, der Moment, als wir das Krankenhaus verlassen, der Anruf meines Vaters, dass meine Schwester tot ist, meine Schwster, wie sie mich bittet, vorbei zu kommen, wie ich sage, ich kann nicht, wie meine Mutter im Heim sitzt, wie sie in Katalogen rumblättert, wie ich nicht zu ihr fahre, wie ich zusammenbreche, wenn ich sie sehe, wie meine Schwester und mein Bruder Rockband spielen, wie ich mcih kaputtlache, wie ich zu meiner Mama sage, sie soll sich halt umbringen, wie mein Onkel mir auf die Mailbox spricht, dass meine Mama tot ist, wie ich des Krankenhauses verwiesen werde, weil ich ihren Stecker ziehen will, wie ich sage, ich will mein Kind nicht sehen, wie ich zustimme, dass es weggeworfen wird, wie meine Schwester mich bittet, vorbeizukommen, wie sie weint, weil sie sich so über mich freut, meine Mama ist so weich und riecht so gut, meine Schwester ist so warm und lacht so schön, meine Mutter liegt mit Schaum vor dem Mund und zitternd auf dem Boden, die Angst, mein Kind zu sehen, zu wissen, dass ich meine Schwester hab hängen lassen, zu wissen, dass ich meine Mutter hab hängen lassen, zu wissen, dass ich mein Kind hab wegwerfen lassen.

Es zu spät ist. Alles ist zu spät. Ich kann nichts davon rückgängig machen. Nichts. Es ist zu spät. Es tut mir so leid.

S hat mich scheinbar gehört. Er kommt rüber, legt sich zu mir, ich sitze auf dem Bett und weine bitterlich. Mein Hals tut weh vom weinen. Ich kann nicht mehr. Er sagt nichts, nimmt mich einfach in den Arm. Ich liebe das. Er versucht nicht mich zu trösten, er weiß, dass es nicht geht. Irgendwann werde ich ruhiger. Dann sagt er „Es ist nicht Deine Schuld. Nichts ist Deine Schuld.“ Irgendwann kann ich einschlafen.


Dienstag, 06.10.20

Ich bin früh wach. Völlig zerstört von meinem Nervenzusammenbruch. Der Sturm ist vorüber. Kurze Nachwehen noch, ich muss nochmal kurz weinen. Aber es ist wirklich nur kurz. Ich kann wieder atmen. Ich habe meine Tage bekommen und muss eine Schmerztablette nehmen. Die Bilder drehen sich langsamer. Es beruhigt sich alles.

Weil es noch so früh ist, habe ich Zeit, alle Bilder einzeln genauer anzukucken, anders anzukucken. Es tut immernoch weh, das wird es auch noch ewig. Ich konnte nichts davon ahnen, weder, dass meine Mutter ihre Drohung wahr macht und sich wirklich versucht umzubringen, auch nicht, dass meine Schwester von heute auf morgen stirbt, noch, dass ich mich hätte anders entscheiden sollen und mein Kind anfassen, riechen, küssen sollte.
Es wird immer weh tun, ich werde es immer bedauern, dass ich es nicht gemacht habe. Dass ich meine Mutter nicht häufiger besucht hab, als sie im Heim war, dass ich nicht zu meiner Schwester gefahren bin, als sie mich ein letztes Mal bat, dass ich mein Kind nicht richtig verabschiedet hab.

Diese Risse werden bleiben. Für immer.

Wir verbringen den Tag zu dritt, H, S und ich. Wir gehen Käsekuchen essen. Letztes Jahr, am 06.10.19, als wir aus dem Krankenhaus nachhause kamen, hat S Mutter uns einen Käsekuchen gebacken. Ich hätte mich so gefreut, wenn in diesem Jahr einfach einer vor der Tür gestanden hätte.

Das ist alles was ich jetzt noch tun kann. Meine Mutter nicht vergessen, meiner Schwester gedenken, meine Tochter zu erwähnen und immer und immer wieder davon zu erzählen, was deren Existenz und auch deren Verlust mit und aus mir gemacht haben.

Ich vermisse Euch alle und es tut mir wirklich sehr leid.

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